RSV: Das unter­schätz­te Atem­wegs­vi­rus

Beson­ders gefähr­lich für Säug­lin­ge, älte­re Per­so­nen und Men­schen mit Begleit­erkran­kun­gen

Wien, 16. Febru­ar 2023. Die RSV*-Epidemie, die seit Novem­ber neben SARS-CoV2 und Influ­en­za gras­siert ist, klingt nun lang­sam ab. Im Ver­gleich zu den bei­den ande­ren Erre­gern ist das RS-Virus immer noch stark unter­schätzt. Bis­her wur­de es haupt­säch­lich bei Klein­kin­dern und Säug­lin­gen gefürch­tet, mitt­ler­wei­le stellt sich her­aus, dass auch älte­re Per­so­nen und Men­schen mit chro­ni­schen Erkran­kun­gen gefähr­det sind. Für früh­ge­bo­re­ne Kin­der steht schon jetzt eine pas­si­ve Immu­ni­sie­rung als Vor­beu­gungs­maß­nah­me zur Ver­fü­gung, alle ande­ren müs­sen noch war­ten.

„Anfang Novem­ber wur­den erst­mals in die­ser Sai­son mehr als zehn Pro­zent aller ein­ge­sen­de­ten Virus­pro­ben an unse­rem Zen­trum posi­tiv auf RSV getes­tet“, berich­tet Doz.in Dr.in Moni­ka Redl­ber­ger-Fritz vom Zen­trum für Viro­lo­gie an der Med­Uni Wien. „Erst Ende Jän­ner ist die­se Rate wie­der unter zehn Pro­zent gesun­ken.“ Die RSV-Sai­son ist heu­er beson­ders stark aus­ge­fal­len, und ist, wie schon im Vor­feld von Expert:innen befürch­tet, mit der von Influ­en­za und SARS-CoV2 zusam­men­ge­fal­len. Dadurch kam es zu einer hohen Anzahl an sym­pto­ma­ti­schen respi­ra­to­ri­schen Infek­tio­nen bei Kin­dern. Das bestä­tigt auch Univ.-Prof. Dr. Bern­hard Resch von der Univ.-Klinik für Kin­der- und Jugend­heil­kun­de in Graz, Kli­ni­sche Abtei­lung für Neo­na­to­lo­gie. „Wir haben immer schon schwe­re RSV-Fäl­le in der Hoch­sai­son von Novem­ber bis März gese­hen. Nach einer Pau­se in der Pan­de­mie ist RSV jetzt lei­der noch mas­si­ver zurück­ge­kom­men. Wir müs­sen in die­ser Sai­son eine höhe­re Anzahl an betrof­fe­nen Säug­lin­gen behan­deln als vor der Pan­de­mie.“

RSV häu­figs­ter Erre­ger bei Kin­dern

Schät­zun­gen zufol­ge infi­zie­ren sich in Öster­reich etwa 54.600 Kin­der im ers­ten Lebens­jahr mit RSV, davon erreicht das Virus bei 11.000 bis 22.000 Kin­dern die tie­fen Atem­we­ge, 1.100 Kin­der müs­sen hos­pi­ta­li­siert wer­den. Was vie­le nicht wis­sen dürf­ten: RSV ist der häu­figs­te Erre­ger tie­fer Atem­wegs­in­fek­ti­on bei Kin­dern unter fünf Jah­ren. Viro­lo­gin Redl­ber­ger-Fritz prä­zi­siert: „Etwa zwei Drit­tel aller Kin­der erkran­ken vor ihrem ers­ten Geburts­tag an RSV, prak­tisch alle bis zum zwei­ten.“

Haupt­ur­sa­che für kri­ti­sche Ver­läu­fe bei Säug­lin­gen und Klein­kin­dern ist die Zell­ver­schmel­zung von Atem­wegs­zel­len, die bei der Virus­re­pli­ka­ti­on statt­fin­det. Gemein­sam mit einer Ent­zün­dungs­re­ak­ti­on kann dies zu einer wei­te­ren Ver­en­gung der bei Kin­dern im Ver­gleich zu Erwach­se­nen ohne­hin schon enge­ren Atem­we­ge und in wei­te­rer Fol­ge sogar zu einem Ver­schluss der betrof­fe­nen Atem­we­ge füh­ren. „Wenn die­se Kin­der ins Spi­tal kom­men, lei­den sie meist unter star­ker Atem­not und müs­sen manch­mal auch künst­lich beatmet wer­den“, erläu­tert Resch.

Pas­si­ver Schutz für Risi­ko­kin­der

Als Risi­ko­fak­to­ren für schwe­re RSV-Infek­tio­nen bei Kin­dern und Säug­lin­gen gel­ten unter ande­rem Früh­ge­burt, nied­ri­ges Geburts­ge­wicht, männ­li­ches Geschlecht, Herz- und Lun­gen­er­kran­kun­gen und Immun­de­fek­te. Zumin­dest für bestimm­te Risi­ko­grup­pen gibt es aktu­ell eine gute Schutz­mög­lich­keit. Früh­ge­bo­re­ne Kin­der oder Kin­der mit ange­bo­re­nen Herz- oder Lun­gen­er­kran­kun­gen kön­nen in Öster­reich durch eine pas­si­ve Immun­pro­phy­la­xe mit einem mono­klon­a­len Anti­kör­per geschützt wer­den. Lei­der sind aber auch Kin­der durch das RS-Virus gefähr­det, die kei­ner Risi­ko­grup­pe ange­hö­ren. Eine ame­ri­ka­ni­sche Stu­die belegt, dass die Mehr­heit der wegen RSV hos­pi­ta­li­sier­ten Säug­lin­ge gesund und reif­ge­bo­ren wor­den war. Auch Daten einer öster­rei­chi­schen retro­spek­ti­ven RSV-Kohor­ten­stu­die aus den Jah­ren 2015–2022 der Med­Uni Graz zei­gen, dass 87 % der wegen RSV hos­pi­ta­li­sier­ten Kin­der reif­ge­bo­ren waren.

RSV betrifft auch älte­re Erwach­se­ne

Neben Kin­dern gel­ten auch Erwach­se­ne mit kar­dia­len oder pul­mo­n­a­len Vor­er­kran­kun­gen und alle immun­de­fi­zi­en­ten und immun­sup­p­ri­mier­ten Per­so­nen als Risi­ko­per­so­nen. Vor­be­stehen­de Erkran­kun­gen wie Asth­ma oder schwe­re neu­ro­lo­gi­sche Erkran­kun­gen kön­nen sich durch eine RSV-Infek­ti­on ver­schlech­tern.
„Außer­dem wird immer kla­rer, dass auch Men­schen über 60 Jah­re zur gefähr­de­ten Grup­pe gehö­ren“, betont Viro­lo­gin Redl­ber­ger-Fritz. Das beweist auch eine aktu­el­le Stu­die, die in Län­dern mit einem hohen Durch­schnitts­ein­kom­men durch­ge­führt wur­de. Sie zeigt, dass die soge­nann­te „attack rate“, also der Pro­zent­satz der RSV-Infek­tio­nen in einem bestimm­ten Zeit­raum, bei den über 60-Jäh­ri­gen deut­lich höher ist als bis­her ange­nom­men. Ähn­li­ches gilt für den Pro­zent­satz der auf­grund einer RSV-Infek­ti­on im Spi­tal Ver­stor­be­nen. „Mitt­ler­wei­le wird häu­fi­ger auf RSV getes­tet als frü­her“, erläu­tert Resch. „Des­we­gen wis­sen wir nun auch, dass schwe­re Infek­tio­nen bei Senio­ren oft auf RSV zurück­zu­füh­ren sind.“
Wer nach einer RSV-Erkran­kung aus dem Spi­tal ent­las­sen wird, kann unter Umstän­den auch mehr Pfle­ge brau­chen als davor. Laut einer Stu­die aus New York war dies bei 15,1 % der Patient:innen mit einem Durch­schnitts­al­ter von 69 Jah­ren der Fall. Die Fol­gen einer RSV-Infek­ti­on kön­nen für hos­pi­ta­li­sier­te älte­re Per­so­nen sogar noch schwe­rer sein als für Per­so­nen, die wegen Influ­en­za ins Spi­tal ein­ge­wie­sen wer­den müs­sen. Die­se rei­chen von einem län­ge­ren Kran­ken­haus­auf­ent­halt bis zu einer höhe­ren Sterb­lich­keit inner­halb des ers­ten Jah­res nach dem Kran­ken­haus­auf­ent­halt.
RSV-Infek­tio­nen kön­nen der­zeit nur sym­pto­ma­tisch the­ra­piert wer­den. Immu­ni­sie­run­gen – ent­we­der pas­siv als Anti­kör­per oder aktiv in Form von Imp­fun­gen – gegen RSV wer­den in nächs­ter Zeit immer wich­ti­ger. Laut einer Pipe­line Review der euro­päi­schen Impf­stoff­her­stel­ler (Vac­ci­nes Euro­pe) sind aktu­ell 11 RSV-Impf­stof­fe in Ent­wick­lung. Sie sol­len im Sin­ne einer „LifeCourseImmunization/LCI“, also dem lebens­lan­gen Imp­fen, zukünf­tig nicht nur Kin­der, son­dern Erwach­se­ne, und vor allem älte­re Men­schen schüt­zen . Mit der Imp­fung in der Schwan­ger­schaft kön­nen dar­über hin­aus schüt­zen­de Anti­kör­per auf das Kind über­tra­gen wer­den. Die mitt­ler­wei­le durch COVID-19 bekann­ten Hygie­ne­maß­nah­men schüt­zen bis dahin aber auch gegen RSV.

*RSV = Respi­ra­to­ri­sches Syn­zy­ti­al Virus

Refe­ren­zen:

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